Ausländerrecht
für die Polizei
von Volker Westphal und Edgar Stoppa Informationen zum internationalen, europäischen und nationalen Ausländerrecht seit
02.09.2000 im Internet |
Sie sind auf der Seite : Fälle zum Ausländerrecht |
Sammlung von polizeirelevanten Sachverhalten zum neuen Ausländerrecht nach dem Rechtsstand November 2007 Dank an Karin W., Sylvester G. und Andreas G. für die
Durchsicht und Hinweise Sachverhalt 1: Der „abgerissene“
Liechtensteiner. Mit einem Billigflieger aus London kommt der Liechtensteiner L zur
Einreise. Er ist offenbar angetrunken jedoch friedlich, macht aber einen
ziemlich „abgerissenen“ Eindruck und scheint kaum noch über Geld zu verfügen.
Er weist sich mit einem gültigen Liechtensteiner Reisepass aus und gibt vor,
in Europa herumzureisen und Urlaub zu machen. Er will nun eine Zeit in
Deutschland bleiben. Nähere Angaben verweigert er. Auch auf ausdrückliche
Nachfrage, ob er über genügend finanzielle Mittel für den Aufenthalt in
Deutschland verfügt, verweigert er die Auskunft. Ausschreibungen bestehen
gegen ihn nicht. Aufgabe: Erläutern Sie anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften, ob L
einreisen darf. Lösungskern: Liechtenstein ist
Vertragsstaat des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR).
Der EWR-Vertrag sieht u.a. vor, dass auch Isländer, Norweger und
Liechtensteiner (EWR-Bürger) das Freizügigkeitsrecht aus dem EU-Vertrag
genießen können, z.B. wenn sie als Arbeitnehmer oder Dienstleistungsempfänger
in andere EU/EWR Staaten reisen. Der L will als Urlauber, also als Tourist
herumreisen. Als Tourist fällt er unter die Dienstleistungsfreiheit (EuGH U. v. 2. 02. 1989 „Cowan“
Rs. 186/87). Einreise und Aufenthalt sind ihm gem. Europäischem
Gemeinschaftsrecht gestattet. Einzige Voraussetzung für die Einreise ist,
dass der L sich mit einem gültigen Pass oder Personalausweis ausweisen kann
(vgl. auch Art. 5, 6 RL 2004/38) oder in anderer Weise nachweisen/glaubhaft machen
kann (vgl. EuGH, U. v. 25.07.2002 - „MRAX“ - Rs.
C-459/99), dass er EWR-Bürger ist. Das
ist hier der Fall. Nachweise über den Aufenthaltszweck und über finanzielle
Mittel darf die Grenzbehörde nach dem EU-Recht nicht verlangen (EuGH U. v. 30.5. 1991 „Kommission/Niederlande“ Rs.
C-68/89). Er hätte nicht einmal angeben müssen, als Tourist unterwegs zu
sein, denn ihm steht schon aufgrund seiner Staatsangehörigkeit mindestens das
allgemeine Freizügigkeitsrecht (Art. 18 EGV) zu. Es liegen auch keine Anhaltspunkte
dafür vor, dass von dem L eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr
ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die eine
Einreiseverweigerung rechtfertigen könnte. Der L darf einreisen. Sachverhalt 2: Der vietnamesische Lebensmittelhändler Im Grenzraum im Bereich des Bundespolizeiamtes Schwandorf wird der
Vietnamese V festgestellt. Er ist Angestellter einer Asia-Lebensmittelfirma
in der Tschechischen Republik und liefert mit einem Kleinlaster für die Firma
Lebensmittel an Asia-Läden in Deutschland. Seine
Firma, eine Gesellschaft nach tschechischem Recht, gehört dem Vietnamesen A.
V ist im Besitz eines gültigen vietnamesischen Passes, in dem sich eine
gültige tschechische Aufenthaltserlaubnis befindet. Zudem verfügt er über ein
gültiges Schengen-Visum Typ C, das den Vermerk enthält „Erwerbstätigkeit
nicht gestattet“. Fallabwandlung: Der Fall spielt im Juni 2008, nachdem die Tschechische Republik zu den
Vollanwendern des Schengen-Rechts gehört. Der V besitzt eine gültige tschechische
Aufenthaltserlaubnis jedoch kein Schengen-Visum. Aufgabe: Erläutern Sie für beide Fallgestaltungen anhand der einschlägigen
Rechtsvorschriften, ob V erlaubt eingereist ist und sich rechtmäßig in Deutschland
aufhält Lösungskern: V genießt Dienstleistungsfreiheit. Die Asia-Lebensmittelfirma
ist eine Gesellschaft nach tschechischem Recht. Die Firma (Unternehmen) des
Vietnamesen A wird als „Juristische Person“ gem. Art. 55 i.V.m.
Art. 43, 48 EGV den EU-Bürgern, die als „Natürliche Personen“ Dienstleistungsfreiheit
genießen, gleichgestellt. Von der Dienstleistungsfreiheit eines Unternehmens
sind auch Angestellte des Unternehmens begünstigt (EuGH
U. v. 21. 10.2003 „Abatay“ Rs. C-317/01). Aufgrund
dieser abgeleiteten Dienstleistungsfreiheit kann der V ohne Genehmigung, also
ohne Visum nach Deutschland einreisen und sich hier ohne Genehmigung, d.h.
ohne Aufenthaltstitel und ohne Arbeitserlaubnis zum Zweck der
Dienstleistungserbringung aufhalten (vgl. EuGH U.
v. 19.01.2006 „Kommission/Deutschland“ Rs. C‑244/04). Das
Schengen-Visum spielt für die Einreise und den Aufenthalt zum Zweck der
Dienstleistungserbringung hier keine Rolle, der V kann damit aber aus
privaten Gründen reisen. Fallabwandlung: V steht nun auch das Recht aus Art. 21 SDÜ zu, doch spielt dies für
die Lösung keine Rolle, da Einreise und Aufenthalt unmittelbar aus der
Dienstleistungsfreiheit erlaubt sind. In beiden Fallversionen ist der V demnach erlaubt eingereist und hält
sich rechtmäßig in Deutschland auf. Sachverhalt 3: Der russische
Vertreter eines Gas-Unternehmens Im Februar 2007 wurde im Stadtgebiet Frankfurt/Oder ein russischer
Staatsangehöriger festgestellt, der über einen gültigen polnischen
Aufenthaltstitel verfügte. Er war am Morgen von Polen kommend nach
Deutschland eingereist, um hier einzukaufen. Da nach der Weisungslage (Art.
21 I SDÜ gilt noch nicht in Bezug auf AT der Beitrittsstaaten) der polnische AT nicht zur Einreise nach Deutschland
berechtigt, wurde die Einreise als unerlaubt gewertet und der Mann nach Polen
zurückgeschoben. Er wurde angezeigt (§ 95 I Nr. 3 AufenthG)
und eine Sicherheitsleistung (§ 132 StPO) erhoben. Aufgrund der durch die Zurückschiebung
bewirkten Wiedereinreisesperre gem. § 11 I AufenthG
wurde der Russe vom BPOLAMT im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben.
Bei dem Mann handelt es sich um einen Angestellten eines großen russischen
Gas-Energiekonzerns der für seine Firma in Polen gearbeitet hat. Im Juni 2007
kehrte er beruflich nach Russland zurück, soll aber im Oktober 2007 bereits
wieder für den Konzern ins Ausland – diesmal nach Frankreich. Als der Energiekonzern
für ihn ein Visum für Frankreich besorgen will, wird dies mit dem Hinweis auf
die deutsche SIS- Ausschreibung abgelehnt. Der Konzern schaltet eine
international arbeitende deutsche Anwaltskanzlei ein, die nun rechtlich gegen
die Ausschreibung vorgehen will und auch Schadensersatzforderungen geltend
machen soll, da ihr Mitarbeiter - ein wichtiger Spezialist - dringend für die
Firma in Frankreich hätte tätig werden sollen. Die Anwaltskanzlei behauptet,
dass eine SIS-Ausschreibung als Folge einer Zurückschiebung unzulässig sei. Aufgabe: Erläutern Sie anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften, ob die
SIS-Ausschreibung rechtmäßig war. Lösungskern: Die Ausschreibung ist
zulässig. Die Wiedereinreisesperre gem. § 11 I AufenthG
erlaubt eine SIS-Ausschreibung gem. Art. 96 III SDÜ. Der Begriff
„Abschiebung“ in Art 96 III SDÜ ist nicht gleichzusetzen mit dem speziellen
Begriff Abschiebung, wie er im AufenthG verstanden
wird und wie er sich im deutschen Recht von dem
Begriff Zurückschiebung unterscheidet. Vielmehr ist hier in einem
völkerrechtlichen Vertrag (SDÜ) sprachlich ein Begriff gewählt worden, der
jede zwangsweise Außerlandesbringung eines ausreisepflichtigen Ausländers
umfasst. Der deutsche Begriff Zurückschiebung
ist somit unter den internationalen Begriff Abschiebung zu subsumieren.
Daher darf nach Art. 96 III SDÜ auch ein Ausländer im SIS zur
Einreiseverweigerung ausgeschrieben werden, dessen Wiedereinreisesperre sich
aufgrund einer nach deutschem Recht zuvor erfolgten Zurückschiebung ergibt. Sachverhalt 4:
Die japanische Musikerin Eine japanische Musikerin lebt mit einem
Aufenthaltstitel der Tschechischen Republik in Prag und ist dort bei einem
Orchester fest angestellt. Mit dem Orchester hat sie auch einige Auftritte im
benachbarten Ausland u.a. auch in Deutschland. Nebenbei lässt sie sich auch
über eine Künstleragentur für entgeltliche Auftritte vermitteln. Nachdem sie
im Jahr 2007 in Deutschland insgesamt an bereits 12 Tagen mit dem Orchester
aufgetreten war und auch an 6 Tagen als Solo-Musikerin tätig war, kommt sie
im November erneut zur Einreise, für eine eintägige musikalische Vorführung
in Dresden. Aufgabe: Erläutern Sie anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften ob die Japanerin
gegen deutsche Rechtsvorschriften verstößt. Lösungskern: Orchester ist tschechisches Unternehmen. Orchesterauftritte fallen
unter Dienstleistungsfreiheit. Einreise, Aufenthalt und Tätigkeit gem. Art.
49 EGV frei und ohne Genehmigung erlaubt. Einzelauftritte fallen nicht
unter Dienstleistungsfreiheit. Aber visumfreie Einreise und
genehmigungsfreier Aufenthalt gem. Art. 20 I SDÜ und/oder § 41 AufenthV erlaubt. Tätigkeit als Musikerin gegen Bezahlung
fällt unter „gelegentliche Tagesdarbietung“ i.S.v. § 7 Nr. 3 BeschV. Die 12 Tage Tätigkeit im Rahmen der
Dienstleistungsfreiheit sind nicht anzurechen.
Somit ist sie vor der erneuten Einreise an lediglich 6 Tagen mit
„gelegentlichen Tagesdarbietungen“ aufgetreten und kann dies bis zu 15 Tage
im Jahr machen. Einreise erlaubt, keine Zurückweisungsgründe erkennbar. Sachverhalt 5:
Ein Türke auf Reisen Oktober 2007.T ist türkischer Staatsangehöriger.
Er lebt in der Schweiz in Basel und verfügt über einen gültigen Pass und
einen gültigen Schweizer Ausländerausweis B (das Dokument ist im Anhang zur
Entscheidung 896/2006/EG als Schweizer Aufenthaltstitel aufgelistet). T meldet sich beim BPOLAmt Lörrach und bittet um Auskunft hinsichtlich
seiner Reisemöglichkeiten. Er beabsichtigt in den
nächsten Monaten aus privaten Gründen (Urlaubsreisen, Verwandte und Bekannte
besuchen): a) von der Schweiz über den
Flughafen Stuttgart in die Türkei zu fliegen und auf dem gleichen Weg
entsprechend wieder zurückzukehren, b) zu einer 7- tägigen
Städtereise nach Tallin /Estland zu fahren, wobei die An- und Rückreise auf
dem Landweg über Deutschland und Polen und über die Fährverbindung
Danzig/Polen - Tallin erfolgen soll, c) für 3 Tage nach
Budapest/Ungarn zu reisen, wobei der Flug über München gehen soll, d) für einen Tag das Weinfest
in Ihringen/Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald zu
besuchen. Aufgabe: Erläutern Sie anhand der einschlägigen
Rechtsvorschriften ob der T ohne Visum/Genehmigung nach Deutschland ein bzw.
durch Deutschland durchreisen darf. Lösungskern: Die Entscheidung 896/2006/EG gewährt ein
5-tägiges Durchreiserecht (hin und zurück) für Inhaber von Schweizer und
Liechtensteiner AT durch alle EU-Staaten, die die Entscheidung anwenden.
Durchreise bedeutet, dass Start und Ziel der Reise jeweils außerhalb von
Staaten liegen müssen, die die Entscheidung anwenden. Ein Recht zur Einreise
zwecks Kurzaufenthalts gewährt die Regelung nicht. Die Entscheidung gilt für
alle „alten“ Schengen-Staaten und für die die meisten Beitrittstaaten
(die entsprechende Anwendungserklärungen abgegeben haben - siehe ABlEU v. 17.10.2006 C 251/20). Bulgarien, Estland,
Litauen und Rumänien wenden die Entscheidung bislang nicht an. Es ist daher
z.B. möglich, von der Schweiz aus (Start der Reise) durch Österreich und
Ungarn (Anwenderstaaten) durchzureisen um nach Rumänien (Nichtanwenderstaat
und somit zulässiges Ziel) zu gelangen. Daher kann der T
im Fall a) und b) auf der Grundlage der Entscheidung 896/2006/EG mit seinem
Schweizer AT durch Deutschland durchreisen. Die Reisen c) und d) sind aufgrund
dieser Rechtsgrundlage nicht möglich. Sachverhalt 6: Das nigerianische Model Flughafen Lagos/Nigeria im Oktober 2007, Lufthansa-Maschine nach
Frankfurt/M. Der in Lagos eingesetzte Dokumentenberater der BPOL prüft die
Reisedokumente eines Ehepaares. Der Mann ist Schwede, die Frau Nigerianerin.
Beide besitzen gültige Pässe ihrer Heimatstaaten. In dem Pass der
Nigerianerin befindet sich eine schwedische Aufenthaltserlaubnis gültig von
2003 bis 2008. In dem Pass befinden sich zudem Vermerke einer österreichischen
Behörde, aus denen hervorgeht, dass die Frau für Österreich ein
Aufenthaltsverbot bis Dezember 2007 hat. Auf Befragen gibt der Mann an, mit
seiner Frau nach Deutschland zu wollen. Seine Frau sei „Model“ und er will
dort Modefotos - die er mit ihr in Nigeria gemacht hat - an eine deutsche
Werbeagentur verkaufen. Anschließend wollen sie weiter nach Hause nach
Schweden. Aufgabe: Erläutern Sie, ob die beiden die Voraussetzungen für die Einreise
nach Deutschland erfüllen und ob Zurückweisungsgründe bestehen. Lösungskern: VO 539/2001/EG ist nicht
anwendbar da Daueraufenthalt in der EU und das Freizügigkeitsrecht für die
Nigerianerin als Ehefrau eines EU-Bürger greift. Einreise des Schweden gem.
§§ 2, 8 FreizügG, Einreise seiner Frau gem. §§ 2, 8
FreizügG i.V.m. Art. 21
SDÜ; Aufenthaltsverbot Österreichs unerheblich. Sachverhalt 7: Die Brasilianerin und die
SIS-Ausschreibung Flughafen Hamburg. Mit einem Flug aus London kommen zur Einreise die
brasilianische Staatsangehörige B und ihr norwegischer Ehemann N. Sie wollen
an einer Geschäftsbesprechung in Hamburg teilnehmen. Bei der
fahndungstechnischen Überprüfung wird festgestellt, dass die B von
Deutschland im SIS und INPOL zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist.
Eine Nachfrage bei der ausschreibenden Behörde ergibt, dass sie 2005
rechtskräftig wegen einfachen Kaufhaus-Diebstahls zu einer Geldstrafe
verurteilt und daher nach Art. 96 II a SDÜ zur Einreiseverweigerung
ausgeschrieben wurde. Eine Ausweisung oder Abschiebung ist nicht erfolgt. B
hat im Januar 2006 den N geheiratet und lebt mit ihm in Norwegen. Als der
Kontrollbeamte Anstalten macht, die B zurückzuweisen, protestiert der N
heftig und führt an, dass er und seine Frau nach dem "Europarecht"
das Recht hätten, geschäftlich nach Berlin zu fahren. Der Kontrollbeamte
trägt daraufhin dem DGL vor und bittet um Entscheidungshilfe. Aufgabe: Erläutern Sie anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften, ob die B
zurückgewiesen werden muss oder kann. Lösungsvorschlag: B fällt unter das EU-Recht.
Sie ist mit einem EWR-Bürger (Norwegen gehört dem EWR an) verheiratet und
genießt als Familienangehörige (vgl. §§ 3, 12 FreizügG)
Freizügigkeit nach dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Die Ausschreibung ist
zu einem Zeitpunkt erfolgt, als B noch nicht freizügigkeitsberechtigt war,
und somit das von ihr begangene Delikt ohne weiteres ihre Fernhaltung vom
Schengen-Gebiet rechtfertigte. Nach der Statusänderung ist die Ausschreibung
aber nicht mehr gerechtfertigt. Beschränkungen der Freizügigkeit aus Gründen
der öffentlichen Ordnung dürfen nur angeordnet werden, wenn eine tatsächliche
und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der
Gesellschaft berührt (EuGH U. v. 27.10.1977 „Bouchereau“ Rs 33-77; § 6 II FreizügG/EU).
Das ist bei einem einfachen Kaufhausdiebstahl nicht der Fall. Eine
Zurückweisung der B. ist mit dem EU-Recht nicht vereinbar. Der
ausschreibenden Behörde ist die Statusänderung mitzuteilen, damit eine
Löschung der Ausschreibung erfolgen kann. Nach Art. 2 SGK sind freizügigkeitsberechtigte
Familienangehörige von EU/EWR-Bürgern auch formal nicht mehr
Drittstaatsangehörige im Sinne des Grenzkodex. Sie müssen weder die Einreisevoraussetzungen
des Art. 5 I SGK erfüllen, noch ist eine Ausschreibung gem. Art. 96 SDÜ
zulässig. Sachverhalt 8: Die empörte
Ausländerbehörde Bei der BPOLI geht ein Schreiben einer Ausländerbehörde ein. Darin
drückt der Leiter der Ausländerbehörde sein Befremden über einen Vorgang aus,
der sich vor einigen Tagen zugetragen habe. Die BPOLI habe einer Armenierin,
die von der Ausländerbehörde abgeschoben wurde und gegen die noch eine
wirksame Wiedereinreisesperre vorliege, die Einreise gestattet. Es sei zwar
zu einem Kontakt zwischen einem Dienstgruppenleiter der BPOLI und einem
Sachbearbeiter der Ausländerbehörde gekommen. Der Sachbearbeiter habe sich
aber nicht in der Lage gesehen, die Einreisesperre aufzuheben. Dessen
ungeachtet habe man die Frau einreisen lassen und die Ausländerbehörde
lediglich im Nachgang über die Einreiseentscheidung informiert. Der Leiter
bittet den Inspektionsleiter im Hinblick auf „eine weitere gute
Zusammenarbeit in der Zukunft“ den Fall aufzuklären und ihm die näheren
Umstände bzw. Entscheidungsgründe zu erläutern. In der BPOLI liegen dazu folgende Erkenntnisse vor: Mit der Maschine aus Budapest/Ungarn waren die armenische
Staatsangehörige (M) und ihr Sohn (S) zur Einreise gekommen. - Die M besaß einen noch 8 Monate gültigen Reiseausweis für
Flüchtlinge (nach dem Abkommen über die Rechtsstellung von Flüchtlingen vom
28. Juli 1951) ausgestellt von Großbritannien mit entsprechender
Rückkehrberechtigung. In dem Pass befand sich eine britische
Daueraufenthaltserlaubnis. - Der 9-jährige S war britischer Staatsangehöriger (British Citizens) und im Besitz eines eigenen gültigen britischen
Passes. Aufgrund einer Behinderung saß er in einem Rollstuhl. M und S haben
ihren festen Wohnsitz in London. Sie waren zu Besuch bei Verwandten in Ungarn
und wollten anschließend nach Deutschland. S sollte wegen seiner Behinderung
drei Tage lang eine medizinische Behandlung bei einem deutschen Spezialisten
erhalten. - Bei der Einreisekontrolle wurde jedoch festgestellt, dass die M von
Deutschland im SIS und im INPOL zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist.
Sie wurde vor vier Jahren, nachdem ihr Asylantrag in Deutschland abgelehnt
wurde, von Deutschland abgeschoben. Gegen sie lag nach Auskunft der zuständigen
Ausländerbehörde immer noch eine Wiedereinreisesperre gem. § 11 Abs. 1 AufenthG vor. - Die M hatte die Beamten dringend gebeten, sie mit ihrem Sohn einreisen
zu lassen. Sie haben die Behandlung beim Spezialisten fest gebucht und ihr
Sohn konnte den Termin aufgrund seines Alters und seiner Behinderung nicht
allein wahrnehmen. - Die Ausländerbehörde sah sich nicht in der Lage, die Sperre
kurzfristig aufzuheben. - Ungeachtet dessen habe man nach Prüfung der Rechtslage die beiden einreisen
lassen. Ausnahmevisa seien nicht erteilt worden. Man habe angenommen, dass S
und M ungeachtet der Einreisesperre nach dem EU-Recht einreisen dürften. Man
habe – nach Überprüfung der Angaben der M und Bestätigung des
Behandlungstermins durch den Spezialisten, seitens der Dienstgruppe eine
pragmatische Entscheidung getroffen und abgesehen von der formalen Einreisesperre
keine konkreten Einreiseverweigerungsgründe gesehen. Aufgabe: Legen Sie unter Angabe der einschlägigen Rechtsvorschriften dar, ob M
und S zur Einreise berechtigt waren, oder ob Gründe für eine Einreiseverweigerung
vorgelegen haben. Lösungskern: Der Sohn (S): - als Brite Unionsbürger und damit Allgemeine
Freizügigkeit gem. Art. 18 EGV - grenzüberschr.
Inanspruchnahme einer Dienstleistung (medizinische Behandlung) Art. 49 EGV - Einreisevoraussetzung gültiger Pass oder
Personalausweis mit brit. Reisepass erfüllt, § 8 FreizügG
Die Mutter (M): - Drittausländerin /Nicht-Unionsbürgerin Art. 1
SDÜ - Kurzaufenthalt beabsichtigt, daher SDÜ
einschlägig - VO 539/2001/EG ebenfalls einschlägig, da
Kurzaufenthalt und Außengrenzübertritt - Visumfreiheit gem. Art. 1 II 3. Anstrich VO
539/2001/EG i.V.m. Europäischem Übereinkommen zur Aufhebung
der Sichtvermerkspflicht für Flüchtlinge und § 18 AufenthV da Inhaberin eines Reiseausweises
für Flüchtlinge von GB - Passpflicht auch erfüllt mit Reiseausweis (§ 3
III Nr. 1 AufenthV) - Jedoch SIS-Ausschreibung zur Einreiseverweigerung
gem. Art. 96 III SDÜ und nationale Wiedereinreisesperre
§ 11 I AufenthG. - Art. 5 I d SGK wird nicht erfüllt, zudem
unerlaubte Einreise nach § 14 I Nr. 3 AufenthG - jedoch
Anwendungsvorrang des EU-Freizügigkeitsrechts, da die Mutter in dieser
konkreten Einreisesituation
als Familienangehörige des S. dem Freizügigkeitsrecht, somit FreizügG unterliegt. - M = Mutter von S. S zahlt jedoch keinen
Unterhalt für M- damit nach Wortlaut der einschlägigen RL (2004/38) nicht
erfasst (üblicherweise ist es umgekehrt). Der EUGH (vgl. nur: EuGH Singh, EuGH Carpenter, EuGH Baumbast, EuGH VanderElst) legt jedoch
das Freizügigkeitsrecht weit aus und will alle Hindernisse beseitigt wissen,
die der Ausübung der Freizügigkeit entgegenstehen könnten. S kann aufgrund
Alter und Behinderung die Dienstleistungsfreiheit nicht allein in Anspruch
nehmen, bedarf also der Betreuung. Hierfür kommt in erster Linie und dem
Kindswohl entsprechend (auch Argument: Schutz von Ehe und Familie, Art 6 GG;
Art 8 EMRK), die leibliche Mutter als vorrangige Sorgeberechtigte in Betracht
(so auch EuGH U. v. 19.10.2004 „Chen“ Rs. 200/02).
M genießt daher in diesem Rahmen (analog zu Art. 2 RL 2004/38) ein
abgeleitetes Freizügigkeitsrecht und damit auch ein gemeinschaftsrechtliches
Einreise- und Aufenthaltsrecht. - Beschränkungen setzen u.a. voraus, dass von dem
Freizügigkeitsberechtigten eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für
die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht, die ein Grundinteresse der
Gesellschaft berührt (§ 6 II FreizügG; EuGH U. v. 27.10.1977 Bouchereau
Rs. 33-77). Das ist bei M nicht der Fall. Sie ist nicht einmal ausgewiesen
worden. Der Einreisesperre liegt also noch nicht einmal ein früherer
Rechtsverstoß zu Grunde, geschweige, dass aktuell ein Rechtsverstoß zu
erwarten ist. § 11 I AufenthG und die SIS-Ausschreibung
treten hier hinter das EU-Recht zurück. Daher war die Einreise zu gestatten. - Eine AV-Erteilung war nicht notwendig, da
Visafreiheit gem. Art. 1 II 3. Anstrich VO 539/2001/EG und dem Übereinkommen
von 1959 vorlag, im Übrigen hätte es gebührenfrei an der Grenze erteilt
werden müssen (EuGH U. v. 25.07.2002 „MRAX“ Rs.
C-459/99). Sachverhalt 9: Die Ehefrau aus dem Tschad Flughafen Lübeck-Blankensee. Mit der
Maschine aus Großbritannien kommen zur Einreise ein Deutscher mit seiner
Ehefrau - eine Staatsangehörige des Tschad. Die Frau
besitzt einen gültigen Pass ihres Heimatstaats. In dem Pass befindet sich
eine abgelaufene deutsche Aufenthaltserlaubnis, die zunächst von 2002 bis
2004 und dann verlängert bis August 2006 gültig war. Zudem besitzt sie eine
von GB ausgestellte zeitlich noch gültige Aufenthaltskarte. Das Ehepaar war
Anfang 2006 nach London gezogen, da der Deutsche dort eine Stelle als
Leitender Angestellter einer Handelsgesellschaft angenommen hat. Nun wollen
sie für drei Wochen Verwandte in Deutschland besuchen. Aufgabe: Erläutern Sie, ob die Frau die Voraussetzungen für die Einreise und
den Aufenthalt erfüllt. Lösungshinweis: Lesen Sie dazu EuGH U. v. 07.07.1992
„Singh“ Rs. 370/90 Lösungskern: Gem. EuGH „Singh“ (U. v. 7. 06.1992 RS.
C-370/90) muss in einer solchen Fallgestaltung der Ehefrau aus dem Tschad in
Deutschland „mindestens die Rechtsstellung gewährt werden, die sie als
Freizügigkeitsberechtigte hätte“. Im Ergebnis Einreise und Aufenthalt ohne AT
zulässig. Vgl. auch Art. 5 II S. 2 RL 2004/38/EG und § 2 IV FreizügG,
wonach der Besitz einer Aufenthaltskarte von der Visumspflicht entbindet. Sachverhalt 10: Ärger an der
ungarisch-rumänischen Grenze Der Rumäne R ist mit der M verheiratet, einer Staatsangehörigen von
Moldawien. Die M wurde 2005 aus Frankreich ausgewiesen, weil sie dort illegal
gearbeitet hat. In ihrem Pass ist ein entsprechender Ausweisungsvermerk
angebracht. Nun möchten R und M für eine Woche zu Verwandten nach Ungarn
reisen, haben aber Sorge, dass die M bei der Grenzkontrolle zurückgewiesen
wird. Daraufhin umgehen die beiden die Grenzkontrollstelle und überschreiten
die „grüne“ Grenze nach Ungarn. Kurz darauf werden die beiden von einer
ungarischen Grenzstreife aufgegriffen. Aufgabe: Prüfen Sie ob die beiden weiter in Ungarn bleiben können oder
umgehend nach Rumänien zurückgebracht (abgeschoben/zurückgeschoben) werden
können. Lösungsvorschlag: R genießt für diesen touristischen Besuch in Ungarn das
Freizügigkeitsrecht aus Art. 18 und 49 EGV. Seine Ehefrau genießt gem. Art. 5
und 6 II RL 2004/38/EG ebenfalls das („abgeleitete“) Freizügigkeitsrecht, da
sie ihren Ehemann begleitet. Ein Visum benötigt sie nicht, da ein solches
nach Art. 5 II RL 2004/38/EG nur gemäß der VO 539/2001/EG oder gegebenenfalls
den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften verlangt werden darf. Die VO
539/2001/EG gilt nur an der Außengrenze der EU und somit nicht an der Grenze
zwischen Ungarn und Rumänien, die seit dem 01.01.2007 eine EU-Binnengrenze
ist. Der Verweis auf Visumregelungen nach einzelstaatlichen Vorschriften
betrifft nur Großbritannien und Irland die nicht an die VO 539/2001/EG
gebunden sind (vgl. die Begründung zu dieser Regelung in Ratsdokument
2001/0111 (COD) 15.04.2003 „Die erste Änderung, durch die ein Verweis auf das
einzelstaatliche Recht hinzugefügt wird, ist insofern von Bedeutung, als
dadurch die Situation der Mitgliedstaaten abgedeckt werden kann, die die
Verordnung 539/2001 nicht anwenden.“) Aber selbst an der EU-Außengrenze
wäre die M nicht visumpflichtig, da nach Art. 5 I b SGK ein Visum nicht
erforderlich ist, wenn die Person einen gültigen Aufenthaltstitel eines
EU-Staats besitzt. Ein Visum-Verstoß würde für freizügigkeitsberechtigte
Familienangehörigen von EU-Bürgern im Übrigen allenfalls eine Geldstrafe oder
Geldbuße als Sanktion nach sich ziehen dürfen, berechtigt aber nicht zur
Zurückweisung oder Abschiebung (EuGH, U. v.
25.07.2002 - „MRAX“ - Rs. C-459/99). Das unrechtmäßige
Überschreiten der Grenze an einem nicht als Grenzübergangsstelle zugelassenen
Ort darf durch Ungarn angemessen sanktioniert werden. Die Sanktion darf aber
keine Freiheitsstrafe vorsehen, denn dadurch würde das Freizügigkeitsecht des
R und der M beeinträchtigt (vgl.
grundsätzlich zu Sanktionen gegenüber EU-Bürgern EuGH
U. v. 17.02.2005 “Oulane” Rs. C-215/03, EuGH, U. v.
14.07.1977 - „Sagolu“ - Rs. 8/77). Zulässig
wäre aber eine Geldstrafe oder Geldbuße. Zudem muss die Sanktion aufgrund des
Diskriminierungsverbots (Art. 12 EGV) derjenigen entsprechen, die einem
Ungarn bei einem vergleichbaren Verhalten droht. Ergebnis: Eine angemessene Ordnungssanktion (Geldstrafe oder Geldbuße) darf
gegen R und M verhängt werden, soweit eine solche im ungarischen Recht
vorgesehen ist. Freiheitsentziehende oder aufenthaltsbeendende Maßnahmen kommen
nicht in Betracht. R und M dürfen ihre Reise zu den Verwandten in Ungarn
fortsetzen. Sachverhalt 11: Ein Albaner mit einer Duldung Flughafen Frankfurt, 06. Februar 2007: Mit der Maschine aus Zürich
kommt der Albaner A in die Einreisekontrolle. Er weist eine Duldung
(zeitlicher Gültigkeitsvermerk bis 01.05.2007) vor, die mit einem zwei Tage
alten Ausreiseistempel der BPOLI
Flughafen Hamburg versehen ist. A war vor zwei Tagen über Zürich
(Transit) nach Zagreb/Kroatien geflogen. Dort wurde er aber wieder via Zürich
nach Deutschland zurückgewiesen. In Zürich ist er in eine Vorkontrolle (am
Flugzeug) der Schweizer Grenzpolizei geraten. Die Schweizer haben ihn im
Transitbereich belassen und ihm die Möglichkeit gegeben mit der nächsten
Maschine nach Deutschland zu fliegen. Der Dienstgruppenleiter will wie folgt entscheiden: - Umgehende Zurückweisung des A gem. § 15 I AufenthG
mit einem Direktflug nach Tirana/Albanien. Ungültigkeitsstempelung der
Duldung. - Kosten sollen der Fluggesellschaft aufgelastet werden, die den A von
Zürich nach Deutschland gebracht hat. - Anzeige wegen versuchter unerlaubter Einreise nach D (ohne Pass/ohne
Visum) gem. § 95 I Nr. 3 i.V.m. § 14 I Nr. 1 und 2 AufenthG. Aufgabe: Erläutern Sie anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften, ob die
Entscheidungen des DGL rechtmäßig sind. Lösungskern:
Mangels Ausreise keine erneute Einreise daher
keine versuchte unerlaubte Einreise /keine Straftaten erkennbar. Sachverhalt 12: Ein Seemann in Nöten Hafen Kiel: Der Marokkaner M ist auf der „MS Frieda“ tätig, einem
Schiff, das unter deutscher Flagge fährt. Er verfügt über eine
Aufenthaltserlaubnis (AE) als Seemann. Die AE ist mit dem „Zusatz“ versehen:
„Erlischt mit Beendigung der Tätigkeit an Bord des deutschen Schiffes MS
Frieda“. Eines Tages erhält er die Order von seiner Reederei, auf der Frieda
abzumustern und auf der “MS Erna“ anzumustern. Die „MS Erna“ ist ein
Schwesterschiff der „MS Frieda“, die allerdings unter liberianischer Flagge
fährt. Sie liegt gerade in Kiel und soll in drei Tagen nach Afrika abfahren.
Der Kapitän der „MS Frieda“ fragt bei der BPOLI an, ob der M Probleme kriegt,
wenn er ummustert. Aufgabe: Erläutern sie anhand der einschlägigen Rechtsvorschriften, ob die
geplante Ummusterung ausländerrechtliche Probleme
aufwirft und ggf. ob die BPOL diese mit ihrem Befugnisrecht
lösen kann. Lösungskern: Der Zusatz ist eine
auflösende Bedingung (§ 12 II AufenthG). Mit der
Abmusterung von der „MS Frieda“ erlischt die AE und M wird damit ausreisepflichtig.
Für die Tätigkeit auf einem Schiff unter fremder Flagge außerhalb
Deutschlands benötigt M zwar keine AE (anders als auf einem deutschem Schiff,
vgl. § 4 IV AufenthG). Da er sich jedoch nach der
Abmusterung d.h. nach Erlöschen seiner AE zunächst noch für 3 Tage auf der
„MS Erna“ in Kiel/Deutschland aufhält, unterfällt er dem AufenthG
und damit auch der Pflicht zum Besitz eines AT. Die BPOL kann aber während
der Liegezeit der „MS Erna“ gem. § 24 II AufenthV
den Aufenthalt im Hafenort Kiel (Landgang) ohne AT
erlauben und diese Erlaubnis mit einem Passierschein bescheinigen. Sachverhalt 13: Probleme an
Bord eines afrikanischen Flugzeug Flughafen Düsseldorf. Eine Maschine aus einem afrikanischen Staat ist
soeben zu einem planmäßigen Zwischenstopp gelandet. Einige Fluggäste steigen
aus. Die Maschine soll nach dem Auftanken nach London weiterfliegen. Einer
der Fluggäste wendet sich aufgeregt an die deutschen Sicherheitsbehörden. Er
trägt vor, dass er aus seinem Heimatland geflohen ist und in Deutschland Asyl
beantragen will. An Bord der Maschine befinden sich noch seine Frau und seine
zwei Kinder, die ebenfalls in Deutschland Asyl beantragen wollen. Sie werden
aber gegen ihren Willen von Sicherheitskräften ihres Heimatlandes an Bord der
Maschine festgehalten. Man habe ihn auch festhalten wollen. Es sei ihm aber
gelungen sich loszureißen und von Bord zu gehen. Er bittet darum, seine
Familie ebenfalls von Bord zu holen. Als Beamte der BPOL und der Polizei sich
zur Aufklärung des Sachverhaltes an Bord der Maschine begeben wollen,
verweigert der Pilot den Beamten den Zutritt. Er sagt, dass die Maschine das
Hoheitsgebiet des Heimatstaats darstelle. Er habe an Bord die Polizeigewalt
und im Übrigen sei an Bord alles in Ordnung. Aufgabe: Erläutern Sie, welche Maßnahmen zu treffen sind. Nehmen Sie dabei auch
Stellung zu der Aussage des Piloten. Lösungsvorschlag: Flugzeuge sind kein "exterritoriales Gebiet". Lediglich
Staatshoheitsflugzeuge – z.B. die "Präsidentenmaschine" eines
ausländischen Staatsgastes genießt Immunität. Die Bordgewalt des Piloten
endet nach der Landung. Besatzung und Passagiere unterliegen der Hoheitsgewalt
Deutschlands. Die Familie unterfällt dem Schutz des Grundgesetzes und hat
daher das Recht, in Deutschland um Asyl nachzusuchen. Die Sicherheitskräfte
des Heimatstaats haben keine Amtsgewalt in Deutschland. Ein Festhalten der
Familie an Bord der Maschine ist eine strafbare Freiheitsberaubung. Die
deutschen Sicherheitsbehörden sind verpflichtet, der Familie zu helfen. Die
Familie muss von Bord geholt werden. Wird vom Piloten oder von anderen
Personen an Bord Widerstand geleistet, so kann unmittelbarer Zwang angewendet
werden. Gegen Straftäter an Bord muss ermittelt werden. Sachverhalt 14: Eine Ukrainerin lässt sich nichts
gefallen Flughafen Leipzig im
Februar 2005. Zur Einreise kommt die 20-jährige Ukrainerin U.
Sie legt bei der Einreisekontrolle ihren gültigen Pass vor, in dem ein gültiges
Schengen-Visum Typ C - ausgestellt von Deutschland- enthalten ist. Das Visum
ist bis Mitte August 2005 für 90 Aufenthaltstage gültig und enthält den
Vermerk „Nur zu Besuchszwecken - Erwerbstätigkeit nicht gestattet“. U
gibt an, dass sie auf Einladung von Herrn G - einem Deutschen aus Dresden -
den sie vor einigen Wochen in Kiew kennen gelernt hat, nach Deutschland
gekommen ist. Sie hat eine Visitenkarte des G dabei. An Barmitteln kann sie
lediglich 30 Euro vorweisen. Die Rückfahrt hat sie noch nicht gebucht, gibt
aber an, ebenfalls mit dem Bus zurückfahren zu wollen. U gibt an, das G ihr
versprochen und gegenüber der deutschen Botschaft schriftlich zugesagt habe,
ihr den Aufenthalt zu finanzieren. Sie solle vom Dresdener ZOB mit dem Taxi
zur Wohnung des G kommen. Die BPOL überprüft U und G und stellt fest: Über U liegen keine Erkenntnisse vor. Gegen G
läuft ein Ermittlungsverfahren wegen Förderung der Prostitution. Zudem ist G
als Zuhälter, Schläger und Nachtclubbesitzer bekannt. Auf Befragen gibt U
weiter an, dass G ihr in Kiew erzählt habe, dass er eine Bar besitze. Er habe
ihr auch gesagt, dass sie ihm in der Bar etwas helfen könne. Sie sei aber
hauptsächlich nach Deutschland gekommen, weil G ihr Freund sei. Im
Visumsantrag habe sie als Reisegrund Urlaub angegeben. Sie habe dort einen
persönlichen Brief von G vorgelegt, der eine Einladung zu einem
Ferienaufenthalt enthalten habe. Den Brief habe sie in Kiew gelassen. Nach
Absprache mit dem zuständigen Entscheidungsbeamten verweigert der
Kontrollbeamte Frau U die Einreise und stempelt das Visum ungültig. Noch von
der BPOLI aus verständigt U telefonisch den G der sich ebenfalls telefonisch
bei der BPOLI meldet. Auf Anraten von G legt U schriftlich
Widerspruch gegen die Zurückweisung und gegen die Ungültigstempelung
des Visums ein. Zudem kündigt G für den Fall, dass U nach Kiew zurückgeschickt
wird, eine Schadensersatzklage und eine Strafanzeige gegen die Beamten wegen
Nötigung an. Aufgabe: - Prüfen Sie ob die Zurückweisung rechtmäßig ist. - Prüfen Sie ob der Widerruf des Visums
rechtmäßig ist. - Skizzieren Sie den vorgeschriebenen
Verfahrensgang beim Widerruf eines Visums durch die Grenzbehörde. - Prüfen Sie welchen Einfluss der Widerspruch auf
die Zurückweisung und auf den Widerruf des Visums
hat. Lösungsvorschlag: Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Die Zurückweisung könnte auf
§ 15 II Nr. 2 AufenthG gestützt werden. Danach kann
ein Ausländer zurückgewiesen werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass
der Aufenthalt nicht dem angegeben Zweck dient. Der angegebene Aufenthaltszweck ist dem Visum der U
zu entnehmen. Es ist ein Touristen-Visum, das einen Kurzaufenthalt ohne
Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erlaubt. U. führt lediglich 30 Euro
mit und ist somit darauf angewiesen, dass G ihr den Aufenthalt finanziert. G gehört
dem Zuhältermilieu an. Gegen ihn wird wegen
Förderung der Prostitution ermittelt. Er hat der U auch die Mithilfe in
seiner Nachtbar angeboten. Das lässt mit einer beachtlichen
Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass er die junge Ukrainerin der
Prostitution zuführen will oder in seiner Nachtbar arbeiten lassen wird.
Unabhängig davon, ob die Prostitution noch nach dem neuen AufenthG
als Erwerbstätigkeit zu werten ist (siehe dazu Westphal/Stoppa,
Ausländerrecht für die Polizei 3. Aufl. Nr. 8.4.6), ist die Mitarbeit in
einer Nachtbar jedenfalls als solche zu qualifizieren. Es kommt dabei nicht
darauf an, ob U selbst anstrebt, in diesem Milieu zu arbeiten oder ob sie von
G dazu gebracht wird. In jedem Fall steht zu befürchten, dass U einer Arbeit
nachgehen wird. Es liegen somit
konkrete Anhaltspunkte vor,
die den Verdacht begründen, dass
der Aufenthalt nicht touristischen Zwecken,
sondern der Erwerbstätigkeit dienen soll. Es ist auch ein wesentlicher Zweckwechsel, denn für
einen Aufenthalt zu Erwerbszwecken müsste U ein Visum besitzen, das mit
Zustimmung der Ausländerbehörde erteilt wurde (§ 31 I AufenthV).
Ein solches Visum besitzt sie nicht. Die Tatbestände des § 15 II Nr. 2 und § 15 II 2a AufenthG sind
erfüllt, sodass die Grenzpolizei zu einer ermessensabhängigen Zurückweisung
befugt ist. Bei der Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass U nicht
unerhebliche Ausgaben für die Reise hatte, um ihren Freund zu besuchen.
Hingegen ist das Vorhaben, in Deutschland durch Arbeit oder Prostitution Geld
zu verdienen, nicht schützenswert. Dem steht das Interesse Deutschlands an
der Einhaltung der Visumsvorschriften und der Verhinderung unerlaubter
Erwerbstätigkeit gegenüber. Zudem besteht auch ein staatliches Interesse
daran, zu verhindern, dass Frauen - hier möglicherweise gegen ihren Willen -
durch Zuhälter der Prostitution zugeführt werden. Die Interessen Deutschlands
sind in diesem Fall so gewichtig, dass sie den Belangen der U und des G
vorgehen. Die Zurückweisung ist auch verhältnismäßig. Die Zurückweisung ist
somit gem. § 15 II Nr. 2 und 15 II Nr.
2a AufenthG rechtmäßig. Widerruf des Visums Der Widerruf eines Visums
(AT) durch die BPOL setzt voraus, dass die BPOL hierfür zuständig ist und
eine Befugnis zum Widerruf besitzt. Gem. § 71 III Nr. 3 AufenthG
ist die BPOL für den Widerruf eines
Visums u.a. im Falle einer Zurückweisung zuständig.
Frau U wurde gem. § 15 II Nr. 2 u. 15 II Nr. 2 a AufenthG zurückgewiesen.
Somit ist die BPOL auch für den Widerruf des Visums zuständig. Die Befugnis
ergibt sich aus § 52 AufenthG. Der Widerruf eines
AT kann u.a. gem. § 52 I 3 AufenthG erfolgen, wenn
der Ausländer noch nicht eingereist ist. Diese Widerrufsmöglichkeit
geht insoweit mit der Befugnis zur Zurückweisung einher. Frau G. war nicht
eingereist, somit ist die gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung zum Widerruf
des Visums erfüllt. Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich, dass der
Adressat eines begünstigenden Verwaltungsakts auf den Bestand des
Verwaltungsakts vertrauen und entsprechend disponieren darf. Ein
willkürlicher Widerruf vor der Einreise scheidet aus. Der Widerruf eines
Visums vor der Einreise ist nur zulässig, wenn nach der Visumserteilung
Umstände bekannt werden, die eine Versagung des Visums nach § 5 AufenthG i.V.m. Art. 5 I SGK
gerechtfertigt hätten. Zudem muss dem Widerruf durch die BPOL eine
Zurückweisung vorausgehen. Die Zurückweisung ist somit weitere Voraussetzung
für den Widerrufs eines Visums gem. § 52 I Nr. 3 AufenthG.
Die
Zurückweisung ist gem. § 15 II Nr. 2 und/oder § 15 II Nr. 2 a AufenthG erfolgt, zudem erfüllt die U nicht die
Erteilungsvoraussetzungen des § 5 I Nr. 3 AufenthG.
Die Arbeit in einer Nachtbar stellt eine Erwerbstätigkeit dar. Dieses war der
Auslandsvertretung bei der Erteilung des Visums nicht bekannt. Somit liegt gem.
§ 52 I Nr. 3 i.V.m. § 15 II Nr. 2/15 II Nr. 2 a AufenthG und § 5 I Nr. 3 AufenthG
ein Widerrufsgrund
vor und es muss eine Ermessensentscheidung
getroffen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Zurückweisung
unabhängig davon erfolgen kann, ob das Visum widerrufen wird oder nicht. Die
Zurückweisung entfaltet keine Dauerwirkung. Würde das Visum nicht widerrufen,
so könnte U nach erfolgter Zurückweisung noch einmal versuchen, nach
Deutschland einzureisen. Sie wäre weiterhin im Besitz eines Titels, der ihr
die Einreise und den Aufenthalt in Deutschland ermöglicht. Ein erneuter
Einreiseversuch könnte wohl innerhalb der Gültigkeitsdauer des Visums
wiederum nur mit finanzieller Unterstützung des G und somit unter den
gleichen Vorzeichen erfolgen. Eine erneute Zurückweisung wäre angebracht. Der
Widerspruch der U und das Auftreten des G rechtfertigt auch die Annahme, dass
beide ein erhebliches Interesse daran haben, dass U nach Deutschland kommt.
Es ist nicht sicher, ob eine nochmalige Einreise unter den gleichen
Vorzeichen von der Grenzbehörde erkannt und verhindert werden kann. Ein
effektiver Schutz der Interessen Deutschlands (siehe Ermessensabwägung zur
Zurückweisung) kann nur gewährleistet werden, wenn auch das Visum widerrufen
wird. Der Widerruf des Visums gem. § 52 I Nr. 3 AufenthG
ist rechtmäßig. Verfahrensgang beim Widerruf eines Visums. Vor der
Anordnung des Widerrufs ist von Amts wegen ein selbständiges Verwaltungsverfahren einzuleiten. 1. Der Ausländer
ist gem. § 28 VwVfG anzuhören. Dem
Ausländer ist Gelegenheit zu geben, zum Widerrufsgrund
und zu den beabsichtigten Ermessenskriterien Stellung zu nehmen. Über die
Anhörung sollte eine Niederschrift, mindestens aber ein Vermerk angefertigt
werden. 2. Der Widerruf ist ein Verwaltungsakt, der
gem. § 77 I AufenthG schriftlich zu erfolgen hat. Die bloße Ungültigkeitsstempelung genügt nicht der Schriftform. Wird gegen
das Schriftlichkeitsgebot verstoßen, so ist der Widerruf nichtig. Die Ungültigkeitsstempelung ist aber zusätzlich
erforderlich, damit das Visum nicht nach erfolgtem Widerruf missbräuchlich
verwendet werden kann. 3. Der Widerruf
muss gem. § 39 I VwVfG eine schriftliche
Begründung enthalten. Die Begründung muss den Widerrufsgrund
enthalten und soll die Ermessenskriterien erkennen lassen. 4. Der Widerruf
muss gem. § 59 VwGO eine Rechtsbehelfsbelehrung
enthalten. Der Widerruf eines begünstigenden Verwaltungsakts
(Visumserteilung) ist selbst ein belastender Verwaltungsakt. Der förmliche
Rechtsbehelf hiergegen ist der Anfechtungswiderspruch gem. § 68 I VwGO Widerspruch gegen die Zurückweisung und gegen den
Widerruf des Visums. Der Widerspruch gegen die Zurückweisung ist zulässig, solange
die Maßnahme noch nicht vollzogen ist. Bei Zurückweisungen auf Flughäfen
fallen aufgrund von Abflugzeiten und Flugverbindungen die
Zurückweisungsverfügung und der Vollzug der Zurückweisung regelmäßig zeitlich
auseinander. Solange sich eine Zurückweisung noch im Vollzug befindet, ist
die Maßnahme nicht beendet. Der Rechtseingriff kann noch durch Einlegen eines
Anfechtungswiderspruchs abgewendet werden. Der Widerspruch der U ist daher
zulässig. Bei der Zurückweisung handelt es sich um eine unaufschiebbare
Maßnahme der Polizei im Sinne des § 80 II Nr.2 VwGO. Damit entfaltet der Widerspruch gegen die Zurückweisung keine
aufschiebende Wirkung. Der Widerspruch muss entgegengenommen und in
angemessener Zeit bearbeitet und beschieden werden. Das kann meist nicht in
der bis zum Vollzug der Maßnahme zur Verfügung stehenden Zeit erfolgen und es
ist auch nicht zwingend vorgesehen. Die Widerspruchsbehörde (das
BPOL-Amt/künftig BPOLDir) kann die Vollziehung auf
Antrag oder von Amts wegen gem. § 80 IV VwGO aussetzen. Ansonsten kann nur
ein Eilantrag gem. § 80 V VwGO den Vollzug stoppen. Die Zurückweisung kann
grundsätzlich ungeachtet eines eingelegten Widerspruchs vollzogen werden. Der Widerspruch gegen den Widerruf eines
Visums ist keine unaufschiebbare
Maßnahme der Polizei gem. § 80 II Nr.2 VwGO. Sie erfolgt nach der gleichen
Befugnisnorm, nach der auch Auslandsvertretungen
und Ausländerbehörden ein Visum bzw. einen AT widerrufen können. Ein
Widerspruch gegen den Widerruf eines Visums hat somit gem. § 80 I VwGO
aufschiebende Wirkung. Mit dem Einlegen des Widerspruchs ist die U wieder im
Besitz eines gültigen Visums. Die Zurückweisung wird dadurch jedoch nicht
berührt. Da das Visum bereits ungültig gestempelt wurde, muss der Frau U in
geeigneter Weise bestätigt werden, dass das Visum weiterhin gültig ist. Das
kann durch eine gesonderte formlose Bescheinigung erfolgen oder durch einen
entsprechenden Eintrag im Visum. Die BPOL kann
aber in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung des Widerrufs im
öffentlichen Interesse liegt, schriftlich und mit gesonderter Begründung
dieses Interesses die sofortige
Vollziehung gem. § 80 II Nr. 4 und III VwGO anordnen. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass der Widerruf nicht notwendig ist, um die Einreise der U
zu verhindern. Ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung
des Widerrufs könnte aber begründet werden, wenn die Gefahr besteht, das U
mit dem Visum erneut versuchen wird, einzureisen und dabei die gleiche
missbräuchliche Absicht verfolgen würde, die zur Zurückweisung geführt hat.
Diese Gefahr besteht (siehe Erläuterung oben). Die Anordnung des sofortigen Vollzuges ist somit gerechtfertigt. Sachverhalt 15: Eine Israelin will heiraten Eine israelische Studentin I ist seit längerem mit einem deutschen
Mann D befreundet. Die beiden besuchen sich regelmäßig gegenseitig für
jeweils zwei oder drei Wochen - in den Semesterferien bzw. im Urlaub auch
schon mal für mehrere Wochen. Nachdem der D vor Weihnachten 2006 zuletzt in
Israel gewesen ist, besucht nun wieder die I ihren Freund in Deutschland. I
war zuletzt im Juni 2006 im Schengen-Gebiet. Da sie nun Semesterferien hat,
kommt sie am 05. Januar 2007 und bleibt bis zum 15. März 2007. In dieser Zeit
beschließen die beiden zu heiraten. So reist die I nach Israel zurück,
erledigt einige Angelegenheiten und kommt am 10. April 2007 erneut nach
Deutschland – nun in der Absicht, ihren Freund zu heiraten und auf Dauer in
Deutschland zu bleiben. Die Hochzeit soll allerdings erst am 28. Mai 2007
stattfinden, da noch nicht alle Formalitäten erledigt sind. Der Aufenthalt
vom 05.01. – 15.03. hat 69 Tage gedauert und der vom 10.04. bis mindestens
zum 28.05. wird 48 Tage dauern, zusammen also 117 Tage. Aufgabe: Erläutern Sie, - ob die I bis Ende Mai 2007 durchgehend vom Erfordernis eines AT
befreit ist und in Deutschland bleiben kann, ohne zuvor einen AT einholen zu
müssen. - ob die I nach der Eheschließung einen AT in Deutschland bekommen
kann. Lösungsvorschlag: Einreisen und Aufenthalte
der I erfolgten, einschließlich der Reise vom 05.01.- 15.03 2007, bislang im
Rahmen des Kurzaufenthaltsrechts, also nach Maßgabe der
Schengener-Vorschriften (vgl. § 1 II AufenthV, Art.
5 I VO 562/2006/EG = Schengener Grenzkodex, Art. 1 II VO 539/2001/EG = EUVisaVO). Es waren jeweils Einreisen für geplante
Aufenthalte von bis zu höchstens drei Monaten innerhalb eines
Sechsmonatszeitraums. Solange die I keinen längerfristigen Aufenthalt plante,
unterlag sie den Schengen-Regelungen und daher auch den Begrenzungen
hinsichtlich der Aufenthaltstage, drei Monate oder 90 Tage innerhalb eines
Bezugszeitraums von sechs Monaten gerechnet vom Tag der ersten Einreise in
das Schengen-Gebiet. Insoweit hatte sie in dem aktuellen
Sechsmonats-Bezugszeitraum, der durch ihre Einreise am 05.01.2007 (= erste
Einreise i.S.d. Art. 20 I SDÜ, da die letzte
Einreise nach Deutschland im Juni 2006 erfolgte und somit vor mehr als sechs
Monaten, vgl. EuGH U. v. 03.10.2006 „Bot“ Rs. C‑241/05)
ausgelöst wurde, bereits 69 Tage verbraucht und hätte im Fall weiterer
Kurzaufenthalte nur noch 21 Tage bis zum Bezugszeitraumende am 05.07.2007 in
Anspruch nehmen können. Wäre die Einreise am 10.04.2007 ebenfalls zum Zweck
eines Kurzaufenthalts erfolgt, hätte die I lediglich bis zum 01.05.2007 im
Schengen-Gebiet bleiben dürfen. Ein durchgehender Aufenthalt bis zum Tag der
Eheschließung am 28.05.2007 wäre dann nicht möglich. Die I ist jedoch am
10.04.2007 nicht zu einem Kurzaufenthalt eingereist, sondern zu einem
Daueraufenthalt. Sie wollte bereits zum Zeitpunkt der Einreise auf Dauer in
Deutschland bleiben, weil sie hier einen Deutschen heiraten und mit ihm in
Deutschland leben wollte. Einreisen zum Zweck des Daueraufenthalts fallen
nicht unter das Schengen-Recht also auch nicht unter die Visumfreiheit gem.
Art. 1 II VO 539/2001/EG (vgl. VGH Kassel B. v. 29.09.2003 12 TG 2339/03 NVwZ 2004, Beilage Nr. I 3, 19-21). Ausländer die
nach Art. 1 II der VO 539/2001/EG für Kurzaufenthalte visumfrei einreisen
können, sog. „Positivstaater“, dürfen dieses nicht
zum Zweck eines längerfristigen Aufenthalts. Ihre Einreise regelt bislang das
nationale Recht - in Deutschland also das AufenthG
und die AufenthV. Grundsätzlich benötigt ein „Positivstaater“ für die Einreise zum Zweck eines
längerfristigen Aufenthalts (z.B. Familiennachzug/Ehegattennachzug/Studium)
ein nationales Visum (Visum Typ D). Davon ausgenommen sind jedoch
nach § 41 I AufenthV Staatsangehörige von
Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, von Neuseeland und den
USA. Sie können auch für einen Aufenthalt, der kein Kurzaufenthalt ist,
visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und sich darin für drei Monate
aufhalten.
§ 41 I AufenthV
ist eine eigenständige nationale Befreiungsnorm,
die nicht abhängig ist von dem Schengener Kurzaufenthaltsrecht oder durch
dieses beeinflusst wird. Es gelten weder die gem. Art. 5 I Schengener
Grenzkodex aufgestellten Einreisevoraussetzungen noch die gem. Art. 5 I
Schengener Grenzkodex und Art 20 I SDÜ geregelten Bezugszeiträume.
Da die I mit ihrer Einreise am
10.04.2007 nicht zu einem Kurzaufenthalt sondern zu einem längerfristigen
Aufenthalt kommen wollte, unterfällt sie ab diesem Zeitpunkt der Regelung des
§ 41 I AufenthG. Vorherige Aufenthaltszeiten sind
unbeachtlich. Es gilt also weder der Bezugszeitraum des Kurzaufenthaltsrechts
noch sind die 69 Tage Voraufenthalt von Bedeutung. Sie ist daher gem. § 41 I AufenthV vom 10.04.2007 an bis zu drei Monaten vom
Erfordernis eines AT befreit - kann sich also bis zum 10.07.2007
genehmigungsfrei in Deutschland aufhalten.
Hätte es sich um eine „Positivstaaterin“ gehandelt, deren Heimatstaat nicht in §
41 I AufenthV aufgeführt ist (z.B. um eine
Brasilianerin), hätte sie mit der gleichen Absicht am 10.04.2007 nicht
einreisen dürfen. Sie wäre aufgrund der Daueraufenthaltsabsicht nicht gem.
Art. 1 II VO 539/2001/EG vom Erfordernis eines Visums befreit – ungeachtet
der Tatsache, dass sie für einen Kurzaufenthalt noch 21 „Resttage“
zur Verfügung hätte (vgl. dazu VGH Kassel a.a.O).
Nach der Eheschließung mit dem D
hat die I einen Rechtsanspruch auf einen AT nach Maßgabe des § 28 AufenthG. Sie kann diesen AT gem. § 41 I S. 2 AufenthV auch in Deutschland einholen – ein
Visumverfahren braucht sie nicht zu durchlaufen.
Ergebnis: Die
Einreise der I am 10.04.2007 fällt unter die Regelung des § 41 I AufenthV. Ungeachtet vorheriger Kurzaufenthalte und den
zum Kurzaufenthaltsrecht geregelten Begrenzungen durfte die I am 10.04.2007
visumfrei nach Deutschland einreisen und kann sich hier bis zum 10.07.2007
genehmigungsfrei aufhalten. Nach der Eheschließung am 28. Mai 2007 kann sie einen AT in Deutschland erhalten.
|